Michel Benedetti über den bevorstehenden Börsengang von Facebook

Kein IPO (Initial Public Offering) macht derzeit mehr Furore an den Finanzmärkten als das Social-Media-Netzwerk Facebook. Mit einem Platzierungsvolumen von voraussichtlich 13,6 Milliarden US-Dollar und einem Börsenwert von 96 Milliarden US-Dollar gehört Facebook zu den grössten Börsengängen der amerikanischen Finanzgeschichte. Falls die Zahlen nicht zu optimistisch gerechnet sind, dürfte das vom 27jährigen Ex-Studenten Mark Zuckerberg gegründete Unternehmen, bei erfolgreichem Börsenstart, gleich in die Liga der Top-Unternehmen aufsteigen. Zum Vergleich: Mitbewerber Google hat derzeit eine Börsenkapitalisierung von 204 Milliarden US-Dollar und der Pharmariese Novartis immerhin noch 128 Milliarden US-Dollar.

Entsprechend hoch ist die Erwartung der Kleinanleger, die sich angesichts der neusten Dämpfer an den Börsenplätzen den grossen Reibach für ihr darbendes Depot erhoffen. Doch Letzere dürften erwartungsgemäss wieder leer ausgehen. Wie bei anderen IPOs werden auch diesmal die grossen konsortialführenden Banken und ihre Kunden (meistens institutionellen Anleger) die Sache unter sich ausmachen. Die Topkunden dürften sich die besten Tranchen sichern, während Herr oder Frau Normalanleger ihr Glück nach Börsenstart versuchen müssen.

Persönlich stehe ich dem IPO eher skeptisch gegenüber. Als bekennender Bewunderer von Warren Buffet möchte ich mich eher auf harte Fakten als auf euphorische Zukunftsvisionen verlassen, wenn ich in einen Wachstumstitel investiere. Gerade die Faktenlage ist bei Facebook eher spärlich und die Geschäftsmodelle sind noch alles andere als ausgereift. Klar ist: Das im sonnigen Kalifornien beheimatete Unternehmen wird seine Brötchen, wie andere Online-Anbieter, mit der klassischen Klick-Werbung verdienen müssen.  Dank der gewaltigen Informationsfülle, die Facebook von seinen aktiven Mitgliedern hat, kann Werbung sehr genau auf die entsprechenden Zielgruppen ausgerichtet werden. Der Clou bei der Sache ist, dass das Gros der Facebook-Anhänger das Netzwerk nicht als Konsumkanal betrachten und entsprechend empfindlich reagieren werden, wenn die Werbung zu aggressiv auftritt. Ebenso wird sich Facebook mehr um die grossen Werbekunden bemühen müssen. Die am Mittwoch gefällte Entscheidung von General Motors, keine Werbung mehr auf Facebook zu schalten, stimmt bedenklich. Der finanzielle Schaden ist gering – das entzogene Werbebudget beträgt „nur“ 10 Millionen US-Dollar. Umso grösser dürfte der Imageschaden sein, denn bei GM handelt es sich immerhin um einen traditionsreichen und sehr erfolgreichen US-Brand.

Das zweite Argument gegen den Titel liegt in der Schnelllebigkeit der Internet-Welt. Sie verhalf Facebook bisher zum Erfolg, könnte aber auch ihr Schicksal werden. Kurze Rückblende: In den 1990er Jahren war Yahoo noch unbestrittener Marktführer unter den Suchmaschinen und Google noch ein unbedeutender Startup-Zwerg. Heute hat sich das Blatt gekehrt. Der derzeitige Besucheranteil von Yahoo beträgt gerade noch ein paar Prozente, während sich Google durch kontinuierlichen Investitionsschub zum unbestrittenen Leader hochhievte. Bereits gibt es viele sozialen Netzwerke (XING, Linkedin), die ihren Nutzern eine viel grössere Gestaltungsmöglichkeiten geben und auch in Punkto Mehrwert schon viel mehr bieten als Facebook. Diese Konkurrenz muss das Unternehmen stets im Auge behalten, wenn es seine Anhängerschaft und die potentiellen Geschäftskunden bei der Stange halten will.
 
Fazit: Facebook wird zuerst den Beweis antreten müssen, ob die noch sehr vagen Geschäftsmodelle auch wirklich zu reellen und effektiven Einnahmequellen werden. Bis dahin sollte der Titel mal vorerst auf die Watch-Liste.
 

Veröffentlicht am 17.05.2012. Michel Benedetti hier seine Meinung geschildert – und was ist Ihre Meinung dazu?

Über den Autor: Michel Benedetti ist freischaffender Journalist, Webtexter und Übersetzer mit Schwerpunkthemen Banken & Finanzen, ICT, Wirtschaft, E-Commerce, Soziale Medien; er lebt in Zürich und pendelt regelmässig nach Paris (mehr)