Michel Benedetti über die Manipulation des Libor-Satzes.

Bei den immer ungeheuerlichen Entwicklungen des Skandals rund um die Manipulation des Referenzzinssatzes Libor weiss der Autor nicht recht, ob er lachen oder weinen soll. Für unfreiwilligen Humor sorgte der jüngste Abtritt von Bob Diamond, dem CEO von Barclays Bank. Diamond erweckte den Eindruck eines ertappten Schuljungen und so vermochten seine Erklärungen weder den parlamentarischen Untersuchungsausschuss noch die Finanzpresse zu überzeugen.

 

Doch eigentlich stimmen diese Nachrichten auch sehr bedenklich. Das kleine Restvertrauen, dass sich die Finanzmärkte durch die Stürme von Post-Subprime gesichert hatten, schmilzt jetzt endgültig dahin. Denn bei der Libor-Manipulation geht es nicht um ein kleines Gentlemen-Delikt. Der Libor ist eine der wichtigsten Kennzahlen für die internationalen Finanzmärkte. Ende 2011 summierte sich der Nominalwert der Finanzprodukte, die auf den Referenzzinssätzen Libor und Euribor basieren, auf mehr als 500 Bio US-Dollar. Schon eine kleine Manipulation der beiden Zinssätze führt zu Milliardengewinnen.

 

Theoretisch wird der Libor täglich um elf Uhr vormittags aufgrund der von den Mitgliedsbanken der British Bankers’ Association angegebenen Zinssätzen kalkuliert. Das erweckt den Eindruck von seriösen Vorgängen. Entsprechend ungläubig reagiert die Öffentlichkeit auf die publizierten
E-Mails der Mitarbeiter von Barclays. Da ist die Rede von Preisabsprachen und kleinen Gefälligkeiten unter Bankerkollegen. Das eher für seine Nüchternheit bekannte Wirtschaftsmagazin spricht in diesem Zusammenhang vom „grössten Wertpapierbetrug der Geschichte“.

 

Bereits wird der Ruf nach mehr Regulation laut. Doch was nützt das beste Regelwerk, wenn den Banken schlicht die Einsicht fehlt, einen schweren Fehler begangen zu haben. Die Schuldzuweisung von Barclay-Chef Diamond an einen kleinen Kreis von Betrügern inmitten einer rechtschaffenen Belegschaft ist schwer nachzuvollziehen und spricht keineswegs von echter Reue. Tatsache ist, dass der stellvertretende Gouverneur der Bank of England, Paul Tucker, bereits 2008 Diamond darauf aufmerksam machte, dass Barclays von den 15 die Zinssätze zur Libor-Ermittlung meldenden Banken fast immer die höchsten Werte genannt habe. Diamond empfand diese Information als blossen Hinweis, tiefere Zinssätze zu melden und keineswegs als Alarmzeichen.

 

Nur ein Gutes hat die Affäre: Jahrelang musste der Schweizer Finanzplatz als böser Bube der Szene viel Schelte hinnehmen. Massiver Druck auf das Bankgeheimnis kam auch diesseits des Ärmelkanals, wo die „splendid isolation“ der Schweizer Banker auf nicht geringe Häme stiess. Jetzt muss wohl die Londoner City selber Anstrengungen unternehmen, ihr Schulhelft ins Reine zu bringen.

 

Veröffentlicht am 11.07.2012. Michel Benedetti hier seine Meinung geschildert – und was ist Ihre Meinung dazu?

Über den Autor: Michel Benedetti ist freischaffender Journalist, Webtexter und Übersetzer mit Schwerpunkthemen Banken & Finanzen, ICT, Wirtschaft, E-Commerce, Soziale Medien; er lebt in Zürich und pendelt regelmässig nach Paris (mehr)